Mathematik erforschen und verstehen

von Julia Dieziger und Marion Münstermann - 25 Oktober 2023
Jugendliche im Unterricht

Bernhard Keller, Co-Projektleiter von «Mathematik Primarstufe», sammelte in einem Weiterbildungssemester umfassende Rückmeldungen aus der Praxis. Welche neuen Erkenntnisse er gewonnen hat und wie sie ins Lehrmittel einfliessen, erklärt er im Interview.


Herr Keller, wie sind Sie bei Ihrer Evaluation im Schuljahr 2021/22 vorgegangen?

Ich bat jeweils eine Lehrperson der 1. bis 6. Klasse zusammen mit ihren Schülerinnen und Schülern, über das gesamte Schuljahr ihre persönlichen Anmerkungen zu den Aufgaben im Handbuch, im Themenbuch und im Arbeitsheft in ein Korrekturexemplar einzutragen. Weiter sammelten die Lehrpersonen sämtliche Mathematik-Hefte von drei Lernenden mit unterschiedlichen mathematischen Leistungen. In meinem Weiterbildungssemester im zweiten Teil des Schuljahres ging ich dann auf Schulbesuch, tauschte mich mit den Lehrpersonen aus, führte Interviews mit den Schülerinnen und Schülern, betreute einzelne Lernende beim Aufgabenlösen und unterstützte in ausgewählten Sequenzen beim Unterrichten, um eigene Beobachtungen anzustellen.

Welche Rückmeldungen haben Sie erhalten?

Zum Beispiel Hinweise zu Aufgabenstellungen, die die Gefahr von Missverständnissen bergen oder zu Inhalten, die schwierig zu verstehen sind. Weiter wurde uns zurückgespielt, was die Schülerinnen und Schüler am Lehrmittel ändern würden – wie zum Beispiel Lösungstipps für die Aufgaben «Zum Weiterdenken» als Ergänzung zu den Lösungen und Lösungsweg-Hinweisen im Lösungsordner. Zudem konnte ich beobachten, was im Unterricht häufig noch zu kurz kommt.

Und was kommt oft zu kurz?

Das Fertigkeitstraining wird in seiner Bedeutung oft unterschätzt und zu wenig genutzt. Doch es ist wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler mathematische Grundfertigkeiten wie Verdoppelungen, Halbierungen oder Umrechnungen trainieren, auch wenn sie die Aufgaben im Grundsatz schon lösen können. Erst die Automatisierung gibt den Kindern Sicherheit in der Mathematik und schafft die Basis, dass sie auch die folgenden Themen verstehen. Daher wird das Fertigkeitstraining auch im neuen «Roten Faden» prominent aufgenommen.

«Das Fertigkeitstraining wird in seiner Bedeutung oft unterschätzt und zu wenig genutzt.»

Wie fliessen die Erkenntnisse aus Ihrer Evaluation ins Lehrmittel ein?

Möglichst umfassend und wo immer es dazu eine Gelegenheit gibt. Anpassungen in Lösungen, Tippfehler oder nicht eindeutige Formulierungen werden in Neuauflagen behoben bzw. geändert. Zudem setzen wir nach Möglichkeit auch neue Produkte um wie zum Beispiel den «Roten Faden». Und falls das Lehrmittel dereinst überarbeitet werden sollte, sind wir dank dem umfassenden Feedback aus allen Klassenjahrgängen bereits darauf vorbereitet.

Welche Erlebnisse haben Ihnen gezeigt, dass das Konzept von «Mathematik Primarstufe» greift?
Während meiner Schulbesuche sah ich zum Beispiel, wie einzelne Schülerinnen und Schüler einer 2. Klasse beim Thema Geld mathematische Zusammenhänge erforschten und dabei bereits mit Brüchen und mit Dezimalzahlen arbeiteten. Für sie war klar, dass ein ½-Franken-Stück ein «Füfzger» ist oder dass 2 Franken und 50 Rappen als 2.50 geschrieben werden können. So können Erfahrungen mit Themen gesammelt werden, die erst viel später im Zentrum des Unterrichts stehen. Weiter sind mir jene Kinder einer 3. Klasse aufgefallen, die ganz selbstverständlich mit dem Rechenstrich arbeiteten – einem Hilfsmittel, das im Lehrmittel gezielt eingeführt wird.

«Wir müssen die Kinder dabei unterstützen, Mathematik zu verstehen.»

Wo liegen die Herausforderungen beim Unterrichten mit dem Lehrmittel?

Die Herausforderung ist und bleibt mit jedem Lehrmittel dieselbe: Wir müssen die Kinder dabei unterstützen, Mathematik zu verstehen. Bei Unklarheiten braucht es eine klärende Auseinandersetzung genau an der Stelle, wo die Unklarheit vorliegt – auch wenn weder für die Lehrperson noch für die Lernenden auf Anhieb erkennbar ist, was genau geklärt werden muss.

Portraitbild Bernhard Keller

Zur Person

Prof. Bernhard Keller lehrt Didaktik der Mathematik an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Er ist Co-Projektleiter des Lehrmittels «Mathematik Primarstufe» und hat vor seiner Tätigkeit an der PH Zürich mehrere Jahre als Primarlehrer gearbeitet.

Das bewährte Mathematiklehrwerk für das 1. bis 6. Schuljahr

«Mathematik Primarstufe» gibt es seit 2010 für die 1. Klasse und wurde bis 2016 laufend für die anderen Klassen umgesetzt. Es verfügt über ein umfassendes digitales Angebot und gewährleistet den nahtlosen Übergang zum Lehrwerk «Mathematik Sekundarstufe I». Alle mathematischen Bereiche der Primarstufe werden abgedeckt: Zahlvorstellungen, Rechenoperationen, Grössen, Sachrechnen, Geometrie sowie – im 5. und 6. Schuljahr – einfache Funktionen und Statistiken.


Tipp: Fertigkeitstraining spielerisch im Unterricht einbauen

Bernhard Keller: «Das Wichtigste am Fertigkeitstraining ist, sich selbst zu übertreffen – etwa indem man sich zuerst vornimmt, eine Aufgabenserie (20 Aufgaben einer Übung) einmal fehlerfrei zu lösen und dann fehlerfrei in weniger Zeit. Auch etwas Wettkampfatmosphäre darf zwischendurch einmal sein – zum Beispiel, indem Lernende gegen die Lehrperson antreten mit dem Ehrgeiz, 20 Aufgaben einer Serie schneller fehlerfrei zu lösen.»



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