«Lernen geschieht im Austausch»

von Franziska Meier - 24 Mai 2023
Larissa Bieler

Larissa Bieler ist die neue Leiterin Entwicklung beim LMVZ. Zusammen mit ihrem Team beschäftigt sie sich nicht nur mit guten Lehrmitteln, sondern auch mit künstlicher Intelligenz – und fahndet nach vielversprechenden Autoren.

Larissa, wenn du einen Tag lang Lehrerin wärst, was würdest du unterrichten?

Etwas Anschauliches, das mehrere Disziplinen umfasst. In meinem früheren Job für eine Kulturstiftung standen wir nach Ausbruch des Ukraine-Kriegs vor der Frage: Können unsere Musiker und Tänzer aus Russland an unser Festival reisen? Bekommen sie noch ein Visum, welche Ausreiserouten sind noch offen? Wir standen vor der Weltkarte, lasen Medien, telefonierten mit der Schweizer Botschaft in Moskau. Und lernten etwa, wie lang die Grenze zwischen Finnland, also der EU, und Russland ist. Mit dieser Fragestellung liessen sich verschiedene Fächer erschliessen: Geografie, Geschichte, in Englisch könnten die Schülerinnen die Künstler interviewen, in Deutsch ihre Geschichten erzählen und in Mathe ihre Reisezeiten je nach Transportmittel berechnen. Und dann würden wir natürlich noch eine Vorstellung besuchen. Ein Tag würde also kaum reichen... Übrigens, unser Lehrmittel «Logbuch» verfolgt diesen interdisziplinären Ansatz: Es deckt den gesellschafts-wissenschaftlichen Teil des Fachbereichs Natur, Mensch, Gesellschaft ab.

 

Seit etwas mehr als 100 Tagen bist du beim LMVZ. Was fiel dir in dieser Zeit besonders auf?

Die Menschen, die hier arbeiten, sind sehr engagiert und kompetent. Es liegt ihnen am Herzen, gute Lehrmittel herzustellen, die mithelfen, einen fundierten und interessanten Unterricht zu gestalten. Zudem beeindruckt mich, wie stark das Schulfeld bei der Lehrmittelentwicklung eingebunden ist. Es sind Lehrpersonen, welche die Lehrmittel schreiben und in den Klassen auf ihre Praxistauglichkeit erproben, noch bevor diese erscheinen. Zudem scheint mir der Verlag gut aufgestellt zu sein und unternehmerisch zu arbeiten.

 

Der Verlag wurde neu gegliedert in die Bereiche Entwicklung, Markt und Dienste. Du hast die neugeschaffene Stelle der Entwicklungsleitung übernommen. Was zieht jemanden, die viele Jahre für die NZZ gearbeitet hat, zum Lehrmittelverlag?

Genau diese Neugliederung. Zum Bereich Entwicklung gehören die Redaktion, die Digitalen Medien und die Herstellung, die gemeinsam Lehrmittel entwickeln. Eine ideale Voraussetzung, um aus einer Hand heraus zu arbeiten. Bei der NZZ war ich schon in diesem Spektrum unterwegs, ich war redaktionell tätig, habe Produkte entwickelt und die Produktion geleitet. Wie gelingt es, gute und schöne Produkte zu machen in einem komplexen, sich wandelnden Umfeld mit diversen Stakeholdern und hohen Ansprüchen? Das sind ähnliche Fragen hier wie bei der NZZ. Dazu Antworten finden, das interessiert mich. Zudem fand ich es einfach auch einen schönen Gedanken, gute und schöne Lehrmittel für Schulkinder zu machen.

«Wir alle haben wilde Vorstellungen im Kopf, was sich durch KI ändern könnte. »

Was gehört genau zur Entwicklungsleitung?

Ich versuche mitzuhelfen, dass die drei Abteilungen gut zusammenwirken – und wir uns gemeinsam weiterentwickeln. Die Abteilung Digitale Medien gibt es ja noch nicht so lange. Sie sucht und entwickelt Wege, wie Inhalte und Aufgaben digital stattfinden können. Eine gute Zusammenarbeit ist sehr wichtig und hat einen direkten Einfluss auf das Lehrmittel. Die technischen Möglichkeiten wachsen, dass wir sie nutzen und zur Verfügung stellen, wird vom Schulfeld erwartet. Wir versuchen die Veränderungen in der Welt, technisch, gesellschaftlich, und in der Schule zu verfolgen, zu verstehen und in die Lehrmittel einfliessen zu lassen.

 

Zum Beispiel ChatGPT?

Ja, die Möglichkeiten, die Risiken von künstlicher Intelligenz (KI) interessieren und beschäftigen uns. Werden Schüler künftig mit individualisierten Bots lernen? Wir alle haben wilde Vorstellungen im Kopf, was sich ändern könnte, und gleichzeitig kann noch niemand sagen, wie es genau sein wird.

 

Welches sind die künftigen Entwicklungs-Schwerpunkte?

In den vergangenen Jahren lag der Schwerpunkt auf der Neuschaffung lehrplankonformer Lehrmittel. Dazu gehört auch die Neuentwicklung der Lehrmittel für Deutsch und Englisch, die uns noch einige Zeit beschäftigen wird. Gleichzeitig integrieren wir laufend neue technische Möglichkeiten. Künftig wird es vermehrt auch darum gehen, bestehende Lehrmittel à jour und frisch zu halten. Und wir wünschen uns wieder etwas Farbe im Programm, gerne auch mal was Unerwartetes, Überraschendes.

 

Kannst du dazu schon etwas verraten?

Dazu ist es noch zu früh. Aber ich kann bestehende Beispiele nennen: die Buchreihe «Kompaktwissen mit Humor» mit den Illustrationen des Karikaturisten Mix & Remix etwa oder das Buch «schlau x genau. Gerade und ungerade Geschichten zur Mathematik», für das Constantin Seibt geschrieben und Ruedi Widmer gezeichnet haben.

«Wir bewegen uns als Schulbuchverlag in einem begrenzten Markt, dafür haben wir einen guten Draht in die Schulstuben.»

 

Holst du Starschreiberinnen zum LMVZ?

Natürlich sagen wir nicht nein, wenn Donna Leon, Zadie Smith oder jemand wie die inzwischen verstorbene Astrid Lindgren bei uns anklopfen und ein Kinderbuch schreiben wollen (lacht). Und auch andere sind herzlich eingeladen, sich bei uns zu melden. Sicherlich bewegen wir uns als Schulbuchverlag in einem begrenzten Markt, dafür haben wir einen guten Draht in die Schulstuben. Und könnten vielleicht auch ältere Semester ansprechen.

 

Womit zum Beispiel?

Wir haben interessante Inhalte, die wir neu verpacken könnten. Das Lehrmittel «connected» etwa bietet tolles Material, das, neu aufbereitet, auch Erwachsenen einen einfachen Zugang zu Informatik-Themen bieten könnte. Oder schöne Illustrationen, die ihr Dasein in Schulbüchern fristen, aber auch darüber hinaus viel Freude bereiten könnten.

 

Was wird sich in der Lehrmittelenwicklung komplett ändern? Und was wird gleich bleiben?  

KI dürfte, wie erwähnt, einiges auf den Kopf stellen. Bei allen technischen, methodisch-didaktischen und raumtechnischen Neuerungen, die kommen werden, glaube ich, dass etwas gleich bleibt: Lernen geschieht im Austausch, zwischen Lehrern und Schülerinnen, innerhalb der Klasse, besonders in einer unterstützenden Atmosphäre. Wir versuchen hier mit unseren Lehrmitteln einen Beitrag zu leisten.

 

Zur Person
Larissa Bieler ist seit Februar 2023 Leiterin Entwicklung beim LMVZ sowie Leiterin der Abteilung Redaktion und Mitglied der Geschäftsleitung. Davor arbeitete sie viele Jahre in unterschiedlichen Funktionen für die Neue Zürcher Zeitung AG sowie als Bundeshauskorrespondentin für die Zeitung «Südostschweiz». Zuletzt war sie bei der Kulturstiftung «Nova Fundaziun Origen» im Kanton Graubünden tätig.


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