«Die silbenanalytische Methode ist keine Hexerei»

von Marion Münstermann - 12 Januar 2024
Symbolbild Silbenmethode

Mit dem neuen Lehrmittel «Deutsch Eins» hat an vielen Schweizer Schulen die silbenanalytische Methode Einzug gehalten. Britta Juska-Bacher, Projektleiterin in der Konzeptphase der Lehrmittelreihe «Deutsch», erklärt im Interview, welche Vorteile die Methode zum Schriftspracherwerb mit sich bringt.

Frau Juska-Bacher, was unterscheidet die silbenanalytische Methode in «Deutsch Eins» von anderen Methoden zum Schriftspracherwerb?

Der silbenanalytische Ansatz in «Deutsch Eins» ist in Deutschland und Österreich die am häufigsten angewandte Methode zum Schriftspracherwerb. In der Schweiz dominiert bisher noch das phonografische Prinzip: Dabei lesen die Kinder zunächst jeden Buchstaben als Einzellaut und lernen erst mit der Zeit, die einzelnen Laute aneinanderzuhängen. «Deutsch Eins» kombiniert beide Ansätze – das lautbasierte und das silbische Prinzip. Die Laut-Buchstaben-Beziehungen sind für den Beginn des Schriftspracherwerbs unabdingbar. Durch die intensive Beschäftigung mit der Silbe entdecken die Erstklässlerinnen und Erstklässler sprachliche Muster und erschliessen sich so Prinzipien der deutschen Rechtschreibung.

«In Deutschland und Österreich gibt es bereits langjährige und positive Erfahrungen mit der silbenanalytischen Methode.»

Warum hat sich das «Deutsch»-Entwicklungsteam für die silbenanalytische Methode entschieden?

Die silbenanalytische Methode ist – wie alle vorangehenden Methoden – eine Reaktion auf Bestehendes: Bereits 2017, als das Konzept für die Lehrmittelreihe «Deutsch» entstand, wurde in Fachkreisen intensiv diskutiert, ob eine Beschränkung auf das lautbasierte Prinzip angemessen ist. In der Kritik stand insbesondere der Ansatz «Lesen durch Schreiben», bei dem die Kinder mit Hilfe einer Anlauttabelle Schrift eigenaktiv entdecken und lange gänzlich auf Orthografie verzichtet wird. Aus diesem individuellen Zugang und der fehlenden vorgegebenen Struktur können sich schwächere Rechtschreibkenntnisse entwickeln. Zugleich gab es in Deutschland und Österreich bereits langjährige und positive Erfahrungen mit der silbenanalytischen Methode. Von daher fand es unser Entwicklungsteam an der Zeit, diese vielversprechende Methode auch in der Schweiz einzusetzen.

Welche Vorteile bringt diese Methode den Erstklässlerinnen und Erstklässlern?

In «Deutsch Eins» erhalten die Kinder – auf spielerisch-entdeckende Art – bereits im Anfangsunterricht Grundlagen für ein Verständnis der Struktur und Schreibung von Silben und Wörtern im Deutschen. So werden sie an erste orthografische Regeln herangeführt, die ihnen bei einer «lautlich vollständigen, wenn auch nicht immer orthografisch korrekt[en]» Verschriftung helfen (Lehrplan 21, D.5.E.1.b). Auf diese Weise entdecken und verstehen sie schon früh erste wichtige orthografische Regularitäten (z. B. Doppelkonsonanz in «Schlüssel») – statt sie später auswendig lernen zu müssen.

«Wichtig ist, dass sich die Lehrperson mit der Methode sicher fühlt.»

Was sind spezielle Herausforderungen für Lehrpersonen?

Die erfolgreiche und lustvolle Arbeit mit der silbenanalytischen Methode setzt eine solide Einführung der Lehrpersonen und ein Sich-Anfreunden mit der neuen Methode voraus. Die Methode ist keine Hexerei, es ist aber wichtig, dass sich die Lehrperson damit sicher fühlt.

Seit dem Schuljahr 2022/23 steht für die 2. Klasse das neue Lehrmittel «Deutsch Zwei» zur Verfügung. Was ist, wenn der Schriftspracherwerb zuvor mit einer anderen Methode erlernt wurde?

Schon in der Konzeptphase war klar, dass die Kompatibilität zu anderen Erstlese-Lehrmitteln gewährleistet sein muss. Die Arbeit mit «Deutsch Zwei» und den späteren Jahrgängen erfordert keine Vorkenntnisse zur silbenanalytischen Methode. Natürlich setzen sich die Kinder auch in der 2. Klasse mit Sprachstrukturen auseinander, dabei stehen aber zunehmend andere sprachliche Einheiten im Vordergrund.

Zur Person

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Britta Juska-Bacher ist Professorin für Linguistik und Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Bern. Sie ist Expertin für Wortschatz, Lesen und Schriftspracherwerb und hatte während der Konzeptphase die Projektleitung der Lehrmittelreihe «Deutsch» inne.

Die silbenanalytische Methode

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Der Schriftspracherwerb in «Deutsch Eins» stellt die Silbe ins Zentrum. Dadurch können Kinder früh die Strukturen und Regularitäten der geschriebenen deutschen Sprache entdecken.

Das Lehrmittel

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«Deutsch Eins» verbindet den Schriftsprachaufbau mit kindgerechten Themen und deckt alle sechs Kompetenzbereiche des Fachbereichs Deutsch im Lehrplan 21 ab.


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