Hürden beim Deutschlernen: Kurdisch

von Karin Keller - 10 Dezember 2024
Eine Wortwolke mit verschiedenen Sprachen ausgeschrieben. Gross steht: Kurmanci

Ausgehend vom Handbuch «Deine Sprache – meine Sprache» zeigen wir Stolperfallen auf, die Fremdsprachige beim Deutschlernen haben können. In unregelmässigen Abständen stellen wir verschiedene Sprachen vor – heute ist Kurdisch an der Reihe.

Man geht davon aus, dass rund 35 Millionen Menschen kurdisch sprechen. Ganz genau weiss man es nicht, da es keine Zählungen gibt. Kurdinnen und Kurden leben nicht in einem eigenen Staat, sondern verteilt auf einem Gebiet von der Grösse Frankreichs, das in der Türkei, in Syrien, im Iran und Irak liegt.

In der Schweiz leben schätzungsweise 40'000 Menschen mit Erstsprache Kurdisch. Die ersten kamen im Zuge der türkischen Arbeitsmigration in den 60er-Jahren in die Schweiz, später flüchteten zahlreiche Kurdinnen und Kurden vor Unruhen und Kriegen in ihren Heimatländern.

Das Kurdische ist eine indoeuropäische Sprache und zählt zu den indoiranischen Sprachen. Somit ist Kurdisch verwandt mit Persisch und Deutsch, jedoch nicht mit Türkisch und Arabisch.

Im Nachschlagewerk «Deine Sprache – meine Sprache» werden die Besonderheiten des Kurdischen ausgeführt und in Bezug zum Deutschen gesetzt. Es richtet sich an Lehrpersonen sowie an Personen, die beruflich oder privat mit Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Erstsprache zu tun haben (siehe Box).

Charakteristik der kurdischen Sprache

Das Kurdische zerfällt in viele Dialekte und Untersprachen. Zwei Drittel aller Kurdischsprachigen sprechen Kurmandschi (Nordkurdisch), auch die meisten in der Schweiz lebenden Kurdinnen und Kurden sprechen diese Variante. In «Deine Sprache – meine Sprache» wird Kurmandschi beschrieben. Viele Kurdinnen und Kurden sprechen nur zu Hause Kurdisch, ausserhalb kommunizieren sie in der Sprache des jeweiligen Landes. Zudem sprechen zahlreiche Kurdinnen und Kurden aufgrund langer Assimilationspolitik kein Kurdisch.

Eine Kostprobe der kurdischen Sprache, ein Satz steht auf Kurdisch und ist Wort für Wort ins Deutsche übersetzt.
Aus: «Deine Sprache – meine Sprache». In der Kostprobe wird ein Beispielsatz auf Kurdisch gezeigt und Wort für Wort ins Deutsche übersetzt.
  • Während die Grundstruktur und Syntax in den Dialekten weitgehend dieselbe ist, gibt es aufgrund der zahlreichen Dialekte eine grosse Vielfalt beim Wortschatz. Auch für geläufige Wörter gibt es viele lokale Varianten.

  • Bei den Geschlechtern werden feminin und maskulin unterschieden und es gibt die bestimmte und unbestimmte Form. Letztere wird gebildet, indem das Zahlwort «eins» angehängt wird.

  • Das Kurdische kennt drei Fälle, den Subjektkasus (Nominativ), den Objektkasus (mit Funktion von Akkusativ und Dativ) und den Vokativ. Im Subjektkasus ist einem Nomen nicht anzusehen, ob es maskulin oder feminin ist, dies zeigt sich nur im Objektkasus.

  • Das Verbsystem enthält zahlreiche Unregelmässigkeiten. Die Präsenszeiten und das Präteritum werden mit an den Stamm angefügten Vor- und Nachsilben gebildet. Kurmandschi hat mehr Verbzeiten als das Deutsche, und genau wie das Deutsche verfügt die Sprache über unzählige zusammengesetzte Verben und verbale Wendungen.

  • Der Satzbau folgt der Struktur Subjekt, Objekt, Verb und unterscheidet sich somit von der Struktur im Deutschen (Subjekt, Verb, Objekt).

Ein gezeichneter Mensch fällt kopfvoran um – oberhalb steht "ez dikevime" auf Kurdisch, auf Deutsch sinngemäss "ich bin am Fallen"
Kurmandschi hat mehr Verbzeitenformen als das Deutsche – zum Beispiel ein progressives Präsens (ez dikevime – ich bin daran zu fallen, engl. I am falling).

Häufige Sprachhürden beim Deutschlernen

Ein Grossteil der Kurmandschi sprechenden Kinder wachsen in einem mehrsprachigen Umfeld auf, was ihnen beim Deutschlernen helfen kann. Je nach Herkunft sind sie türkisch alphabetisiert oder haben eine erste Schulbildung auf Arabisch oder Persisch erhalten und das entsprechende Alphabet gelernt.

  • Bei der Aussprache bereiten mitunter das «ch» sowie die Unterscheidung von a und e, von u und o sowie von e und i Schwierigkeiten. Besonders herausfordernd sind Konsonantenhäufungen wie in «du pumpst», «Obstgarten».

  • Je nach Alphabetisierung müssen einzelne Buchstaben und Grapheme wie ä, sch, ch, ei, eu geübt werden.

  • Der bestimmte Artikel und die drei grammatischen Geschlechter müssen erlernt werden. Ebenso gilt es, den Unterschied von Dativ und Akkusativ zu üben. Die deutschen Präpositionen müssen mit den zugehörigen Fällen sorgfältig eingeführt werden, da es dies im Kurmandschi so nicht gibt.

  • Das Hilfsverb «haben» ist unbekannt und führt zu Unsicherheiten wie «ich bin geschlafen, habe gegangen». Klammerkonstruktionen kommen zwar auch im Kurdischen vor, dennoch bereitet dies beim Deutschlernen häufig Schwierigkeiten.

  • Da im Kurmandschi das Verb am Satzende steht, kommt es häufig zu Stellungsfehlern («Nemo heute in Hort isst.»). Für die Negation wird nicht das Nomen, sondern das Verb verneint, die vor das Nomen gestellte Partikel «tu» (nicht, kein) verstärkt die Verneinung. Diese zwei Aspekte führen zu Unsicherheiten und Normverstössen.

Deine Sprache – meine Sprache

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«Deine Sprache – meine Sprache» möchte zur interkulturellen Verständigung bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen beitragen. Es bietet einen gut verständlichen Einblick in die Struktur und Eigenheiten der 20 häufigsten Migrationssprachen in der Schweiz und in die mit ihnen verbundenen Schwierigkeiten beim Deutscherwerb. 

Besuch vom kleinen Wolf

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Dieses interkulturelle Bilderbuch für Kinder von 4 bis 8 Jahren erzählt die Geschichte vom kleinen Wolf, der sich an einem Sonntag in einen Kindergarten schleicht, in acht Sprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch, Albanisch, Portugiesisch, Serbisch, Tamilisch und Türkisch. Weitere 22 Sprachen inklusive Kurdisch sind als PDF auf www.lmvz.ch erhältlich.


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