Hürden beim Deutschlernen: Russisch

von Franziska Meier - 13 März 2025
Bunte Wolke aus Wörtern der verschiedenen Sprachen

Ausgehend vom Handbuch «Deine Sprache – meine Sprache» zeigen wir Stolperfallen auf, denen Fremdsprachige beim Deutschlernen begegnen können. Im Blog stellen wir verschiedene Sprachen vor, heute ist Russisch an der Reihe.

Russland ist das flächenmässig grösste Land der Welt, ein Vielvölkerstaat mit rund 190 Nationalitäten. Russisch wird von etwa 270 Millionen Menschen gesprochen. Für rund 170 Millionen ist es die Muttersprache. Der Rest bezeichnet Russisch als Zweitsprache und wohnt zum grössten Teil in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, wo Russisch bis 1991 die Amtssprache war. Sie steht in ihrer weltweiten Verbreitung an siebter Stelle unter den Muttersprachen.

Im Nachschlagewerk «Deine Sprache – meine Sprache» werden die Besonderheiten des Russischen ausgeführt und in Bezug zum Deutschen gesetzt. Es richtet sich an Lehrpersonen sowie an Personen, die beruflich oder privat mit Kindern und Jugendlichen nichtdeutscher Erstsprache zu tun haben (siehe blaue Box ganz unten).


Charakteristik der russischen Sprache

Russisch ist eine ostslawische Sprache und gehört zum slawischen Zweig der indoeuropäischen Sprachenfamilie. Dialekte sind im Russischen trotz grosser Entfernungen weit weniger ausgeprägt als zum Beispiel im deutschen Sprachraum. So sind etwa die Unterschiede in der Aussprache nirgendwo so gross, dass sich zwei Sprechende nicht problemlos verstehen könnten.

Der Hauptanteil des Wortschatzes ist slawischen Ursprungs. Im Laufe der Geschichte hat das Russische allerdings auch zahlreiche Fremdwörter aufgenommen. Während der Reformen Peters I. im frühen 18. Jahrhundert waren es vor allem holländische und deutsche Wörter aus den Bereichen Alltagsleben, Handwerk und Wissenschaften. Kurz darauf folgten französische Lehnwörter (Kleidung, Essen, Kunst). Momentan fliessen zahlreiche englische Wörter aus den Bereichen Wirtschaft und Politik in den russischen Wortschatz ein.

Kostprobe
Aus: «Deine Sprache – meine Sprache». In der Kostprobe wird ein Beispielsatz auf Russisch gezeigt und Wort für Wort ins Deutsche übersetzt.
  • Bei den Nomen gibt es drei grammatische Geschlechter (Femininum, Maskulinum, Neutrum, erkennbar an der Endung) und sechs Fälle (Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ, Instrumental und Präpositiv). Artikel – sowohl bestimmte wie auch unbestimmte – kennt das Russische nicht.

  • Das russische Verb hat gleich wie im Deutschen eine Infinitiv- und sechs Personalformen (1.–3. Ps. Sg. + Pl.). Interessant ist das Fehlen des Hilfsverbs «sein» im Präsens.

  • Eine weitere Besonderheit der russischen Verben sind die zwei Aspekte «unvollendet» und «vollendet». Ihnen zufolge kann eine Handlung im Russischen auf zwei verschiedene Arten betrachtet werden, das heisst entweder mit Bezug auf ihren Verlauf oder aber auf ihren Abschluss beziehungsweise das Ergebnis. Dementsprechend stehen einem deutschen Verb häufig zwei russische Verben gegenüber.

  • Im Vergleich zum Deutschen bietet die russische Sprache in der Wortstellung viel grössere Freiheit. So kann beispielsweise der Satz «Ich liebe dich» im Russischen in folgenden Varianten wiedergegeben werden: «Ich liebe dich», «Ich dich liebe», «Dich liebe ich», «Dich ich liebe», «Liebe ich dich», «Liebe dich ich». Allerdings kann die Veränderung der Wortfolge natürlich auch im Russischen bisweilen zu Veränderungen des inhaltlichen oder emotionalen Charakters führen.


Häufige Sprachhürden beim Deutschlernen

Das russische Alphabet umfasst 33 Buchstaben und basiert auf der kyrillischen Schrift.

Die Unterscheidung zwischen Kurz- und Langvokalen spielt im Deutschen eine wichtige Rolle (vgl. Stahl – Stall, fühlen – füllen). Auch das Russische kennt das Phänomen der Vokalquantität, allerdings unter der Bezeichnung Vokalreduktion. Im Russischen werden die betonten Vokale sehr deutlich artikuliert. Sie haben gegenüber den deutschen kurzen und langen Vokalen eine mittlere Länge. Die unbetonten Vokale werden weniger deutlich artikuliert und haben im Gegensatz zu den betonten eine viel kürzere Dauer.

  • Besonders stark sind von der Reduktion die russischen Vokale о, е und я betroffen. In unbetonten Silben wird das o ähnlich wie a oder ä ausgesprochen, während e und я zu einem i-ähnlichen Laut reduziert werden. Diese Besonderheiten können bei Russischsprachigen hauptsachlich zu den zwei folgenden Normverstossen im Deutschen führen: 1. Die betonten kurzen Vokale werden mittellang ausgesprochen: «Stahl» (statt: Stall). 2. Die unbetonten Vokalbuchstaben (insbesondere «o») werden reduziert, also falsch ausgesprochen: «Prapeller» (Propeller), «Rektar» oder «Rektr» (Rektor). Ausserdem kann es zu Verwechslungen zwischen e und i kommen.

  • Unbekannt ist im Russischen das sogenannte gehauchte h. Anfangs kann es deshalb als «ch» ausgesprochen werden: «cheute» (statt heute). Zusätzlich kann h in Eigennamen als g artikuliert werden, denn historisch wurde h in deutschen Eigennamen bei der Aufnahme ins Russische durch g ersetzt: «Gamburg» (statt «Hamburg»), «Gannover» (statt Hannover).

  • Artikel sind im Russischen gänzlich unbekannt, deshalb kann ihr Gebrauch für Russischsprachige für längere Zeit eines der grössten Probleme sein (vgl. Sätze wie «Ich mit Mutter in Stadt»). Die schwierigste Frage ist jeweils, ob das Nomen den bestimmten, den unbestimmten oder gar keinen Artikel benötigt.

  • Ein mit dem Indefinitpronomen «kein» vergleichbares Wort ist im Russischen nicht vorhanden. Daraus können Normverstösse wie «Es ist nicht Buch» entstehen. Auch das unpersönliche «es» ist vom Russischen her unbekannt, was anfangs zu negativen Transfers wie «wird hell», «regnet» führen kann. Anders als im Deutschen steht das Reflexivpronomen (sich) für alle Personen des Singulars und des Plurals. Das erklärt Fehler wie «ich schäme sich» oder «wir sind mit sich zufrieden».

  • Die Abtrennung und Nachstellung der verbalen Präfixe («ich rufe dich an») kennt das Russische nicht, was zu Normverstossen wie «ich anrufe dich» führen kann. Aus dem Umstand, dass manche Verben andere Fälle regieren und andere Präpositionen verlangen als im Deutschen, resultieren Interferenzfehler wie «ich bereite mich zum Test vor» oder «ruf mir (statt «mich») an».

  • Das Negationsadverb «nicht» muss im Russischen vor dem Verb stehen, womit sich im Deutschen Fehler wie «ich nicht mag» erklären. Auch das Adverb steht im Russischen bei der Standardsatzstellung vor dem Verb, was zu negativen Transfers wie «sie laut singt» führen kann.

Deine Sprache – Meine Sprache

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«Deine Sprache – meine Sprache» möchte zur interkulturellen Verständigung bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen beitragen. Es bietet einen gut verständlichen Einblick in die Struktur und Eigenheiten der 20 häufigsten Migrationssprachen in der Schweiz und in die mit ihnen verbundenen Schwierigkeiten beim Deutscherwerb. 

Poster: Hasenreime in 15 Sprachen

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Poster mit illustrierten Hasenreimen in 15 Sprachen. Das Poster kann in 15 Postkarten, A6, ausgeschnitten werden.

Dem Poster sind 8 Blätter mit Übersetzungen und Aussprachehilfen beigelegt.


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